Überflüssig
Das zwölfte von sechs Häusern, das ist mein Geburtshaus im Bayrischen Wald.
Die Ortschaft „Sechshäuser“ heißt offiziell „Hohenröhren“, aber man hält sich dort selten an das Amtliche, Hochdeutsche.
Das zwölfte von sechs Häusern, da könnte man schon auf die Idee kommen, das wäre überflüssig. Inzwischen ist es auch verschwunden, das schiefe alte Holzhaus am Goldenen Steig, und es lebt nur in der Erinnerung wie auf meiner Skizze.
Überflüssig, so denkt auch meine Mutter, als ich ankomme am hochheiligen Feiertag, während des Einlegens der Reiberknödel in den großen Topf, so zwischen dem vierzehnten und fünfzehnten Knödel. Es sind ja schon sieben Kinder da und so ist es verständlich, dass die Mutter für Dinge wie eine Geburt nur am Feiertag Zeit findet.
Überflüssig, das meinen auch meine Geschwister, als sie von der Kirche heim kommen und die Bescherung sehen. Mein Vater denkt: Den müssen wir jetzt auch noch durchfüttern. Verwandte, vertrieben aus dem Sudetenland, werden in unserem Haus aufgenommen, als ich schon mit den Anderen herum rennen kann. Sie haben selbst keine Kinder und wollen mich adoptieren. Aber mein Vater meint, wenn er auch überflüssig ist, der Bub, hergeben wollen wir ihn doch nicht.
Zum Studieren muss ich nach München. Es geht mir dort gleich durch den Kopf: Da sind schon so viel Schlaue, ob man da nicht überflüssig ist? Die Wichtigtuer lassen mich aber irgendwie mitlaufen. Plötzlich kommt mir die Erleuchtung: Die kochen auch nur mit Wasser. Heißer Dampf ist oft genug das Einzige, was dabei herauskommt. Wen wundert es, wenn ich mitkochen und ausprobieren möchte, was man mit eigenem Kochgeschirr zustande bringen kann.
Die Traktor-Garage meines Bruders ist die erste „Küche“. Mit zusammen gerührtem Kleber werden in „Hohenröhren“ Röhren gefertigt, mit denen man das „Nichts“ messen kann. Aus dem Nichts entsteht, weiß der Teufel wie, ein weltweit tätiges Unternehmen mit dem Zweck, den Wert des „Nichts“ genau zu ermitteln. In diesem Nichts ist sogar Luft überflüssig.
Da ist die Idee naheliegend, die wichtigste Aufgabe wird sein, mich selbst in dieser Firma überflüssig zu machen. Freilich muss ich eingestehen, dass ich gerne vorgebe, ich hätte das noch nicht geschafft. Denn es ist eigentlich ganz angenehm, wenn man manchmal noch gebraucht wird, möglicherweise auch nur zum Unterschreiben.
Überflüssig ist vermutlich auch dieses Buch. Sollte es doch jemand lesen, sei hiermit versichert, es muss nicht gefallen. Schon das Schreiben hat so viel Spaß bereitet, dass es die Sache wert ist. Für mich bedeutet es großes Glück, in einem Land leben zu dürfen, in dem jeder ein Buch schreiben darf, auch wenn es vielleicht wirklich überflüssig ist.
Ein geneigter aufmerksamer Leser mag womöglich gar zur Erkenntnis kommen, das Buch sei nicht nur überflüssig, sondern auch unvollständig und geschönt. Gerade in einer so langen Firmengeschichte sollte der Schreiber doch auch seine Beziehungskisten nicht unterschlagen. Eine quasi aus dem Nichts gewidmete Neugründung gerät aber für mich zum eigenen Baby, das alles dominiert und nie oder nur sehr langsam dem Windelstadium entwächst. Ob das nur mir so geht oder bei Gründern sozusagen eine zwingende Begleiterscheinung darstellt, mag ich nicht beurteilen. Immer mit dem zweiten Platz vorlieb nehmen zu müssen, ist für Partner und Familie sicher nicht leicht und führt bisweilen zu Konflikten und Missverständnissen. Um diese nun nicht auch noch nachträglich möglicherweise zu vertiefen, beschränkt sich meine (Firmen-)Geschichte im Wesentlichen auf Aspekte des Unternehmens und seines Gründers. Dafür bitte ich um Nachsicht.
Ursprünglich gedacht als Erinnerungshilfe an kuriose Geschichten von kauzigen Waidlern, gehen meine Aufzeichnungen nun in Richtung einer eigentlich nicht beabsichtigten Autobiographie. Das erfolgt durch den ausdrücklichen Wunsch von Olaf Heinrich, Präsident des Bezirkstages von Niederbayern. Einige Details aus meinem kurzen Bericht führen ihn zu der Vermutung, die Geschichte meiner Garagengründung könnte nicht nur ihn interessieren. In der Hoffnung, dass er damit richtig liegt, wünsche ich trotz fehlender privater Würze viel Spaß beim Lesen. Mit meinen eigenen Skizzen, Pastell-, Aquarell- und Ölbildern und Fotografien bin ich bemüht, einen möglichst authentischen Eindruck meiner Erinnerungen zu vermitteln. Sollte es mir damit gelingen, interessierten Lesern gelegentlich ein leises Lächeln oder auch nur ein freundliches Nicken abzuringen, ist er vielleicht doch nicht ganz überflüssig, mein literarischer Versuch.
Wirklich sehr geehrt fühle ich mich durch die vorangestellten Grußworte: Bezirkstagspräsident Dr. Olaf Heinrich formuliert gekonnt einen einfühlsamen motivierenden Text, MdL Max Gibis schickt freundschaftlich-heimatlich verbindende Grüße und mein lieber Niederbayern-Botschafter-Kollege Gerd Brunner analysiert als Lektor messerscharf, trotzdem freundlich das Wesen des Waidlers. Vielen Dank!
Herzlich bedanken möchte ich mich auch bei den langjährig treuen Mitarbeitern in meinem Unternehmen und bei meiner Familie für Verständnis und Geduld.
Ihr Heinrich Franz (Heinz) Plöchinger